AUGUSTE PRÉAULT:
"Das Schweigen" (1842) als Heliogravüre Photo: Katalog
Ein Grabrelief im jüdischen Teil des Friedhofs Pere Lachaise in Paris. Der Tod legt den Finger auf die Lippen: Schweigen, Geheimnis der Schwelle vom Leben zum Danach. Das Motiv hat Zeitgenossen wie Nachkommende fasziniert. Im Symbolismus wurde es von Khnopff, Odilon Redon und Lucien Levy-Dhurmer wieder aufgegriffen. Die Komposition stammt von Auguste Préault (1809-79), einem der originellsten und am wenigsten bekannten Bildhauer des französischen 19. Jahrhunderts, dem das Musee d'Orsay die erste Gesamtausstellung widmet. Sie wurde ermöglicht durch die Vorarbeiten des amerikanischen Forschers Charles Millard, der das zerstreute OEuvre rekonstruiert hat. Préault, ob seines krassen und antiklassischen Temperaments vom Salon immer wieder abgelehnt, hat seine Gipsentwürfe in Anfällen wütender Niedergeschlagenheit zerstört. Hinzu kam, daß sein Atelier 1871 während der Kommune durch eine Pulverexplosion in Flammen aufging. So ließ sich vieles nur aus Illustrierten, frühen Photographien, Schilderungen von Bekannten und vor allem Karikaturen erschließen, deren bevorzugte Zielscheibe Préaults Skulpturen waren: ihre auf Rodin vorausweisende Fragmentierung und Torsohaftigkeit, die heftigen Drehungen muskulöser Frauenkörper (Undine), übertrieben scharfe Herausarbeitung von Einzelheiten (Massaker), strudelnde Formen (Ophelia), malerisch aufgerauhte Oberflächen. Sozial engagiert, wortgewaltig und ausfallend, befreundet mit Victor Hugo, Delacroix, Theophile Gautier, George Sand und Berlioz, war Préault der romantische Künstler par excellence. Er ließ sich durch Dante und Shakespeare anregen, aber auch durch die Zeitgenossen, die er in scharfgeschnittenen Medaillons verewigt hat. Sie verraten sein starkes Interesse an Physiognomik und der Gallschen Schädellehre. Sicher wurden ihm solche Profile durch den zeitweiligen Lehrer David d'Angers nahegebracht, doch verlassen sie dessen zurückhaltende idealistische Charakterisierung. Oft großformatig, treten sie mit dramatisierten Ge- |
sichtszügen, lebendigen Haarmähnen, chaotischer Barttracht aus der
Fläche heraus und können - ein Paradox - in Funerarreliefs (etwa
für den polnischen Dichter Adam Mickiewicz) zu gleichsam animierten
Totenmasken werden. Die Statuenmanie des 19. Jahrhunderts und der
Größenwahn des Zweiten Kaiserreichs kamen Préault entgegen. Er hat
am neuen Louvre und anderen Großprojekten mitgewirkt. Aber auch hier
halten sich seine Denkmäler (für Jacques Coeur in Bourges, für
General Marceau in Chartres), das Sphyngenpaar in Fontainebleau und die
schwungvolle Figur der Clemence Isaure im Jardin du Luxembourg durch Kurven und
Sinnlichkeit, kräftige Linienzüge und den Kontrast von Masse und
exzentrischen Details keineswegs an die Konventionen. Als der Historismus die
Pariser Kirchen zu möblieren begann, schockierte Préault auch im sakralen
Bereich die konventionellen Gemüter. Seine gewaltigen Kreuzigungen in
Saint-Gervais-Saint-Protais und Saint-Ferdinand-des-Ternes überführen
gotisch-barocke Züge in exzessives realistisches Pathos. Gleich dem Leiden
war der Tod, wie die zahlreichen Grabgestaltungen erkennen lassen, ein
Obsession dieses so lebhaften Künstlers, dessen ungedrungenes
Äußeres und sprechendes Mienenspiel zeitgenössische
Lichtbildner überliefert haben. Die Leihbereitschaft von Sammlungen,
Kirchen und sogar Parks ermöglicht es dem Musee d'Orsay, Préaults Werk in
großem Stil auszubreiten - sicher eine Überraschung für die
Kunstwelt, die sich erst an diese öffentlichen und doch nicht konformen
Arbeiten gewöhnen muß. Sie passen weder in die gewohnte Spaltung -
hie offiziell, hie unakademisch - noch überhaupt in ein Schema: ein gutes
Zeichen. Viele der 180 Nummern betreffen Skizzen und Pläne zu nicht
ausgeführten Werken. Alles ist im Katalog, zugleich OEuvreverzeichnis,
zusammengefaßt, der die Schau im Sommer nach Schloß Blois und im
Herbst ins Van Gogh Museum Amsterdam begleitet. (20.Feb. bis 18. Mai 1997,
Katalog, Editions Gallimard, 390 Franc)
GÜNTER METKEN |
Süddeutsche Zeitung vom 4.März 1997